Blog

Soziale Bäume

Wo sind wir stehen geblieben? Ach ja, Bäume sind sozial. Das ist mein Standpunkt. Achtung, es folgt jetzt eine intensive Ausführung über soziale Bäume und über den Beginn allen Lebens, begonnen beim sozialen Apfelbaum mit Adamsapfel und Efeueva (oder so) bishin zum Beschließen neuer Freundschaften und der sozialen Interaktion innerhalb einer Pfadfindergruppe, die in dem Zusammenhang direkt mit der These „Bäume sind sozial“ verglichen wird.

10. Mai 2014-138Wir sitzen also im laubbedeckten Wald, hinter uns der Eingang zu einer kleinen dunklen Höhle, wir machen gerade Brotzeit. Das geschnitten Brot liegt auf der Tüte auf einem Stein, daneben sitze ich. Ich reiche Brotscheiben weiter, ich frage nach dem Käse und freue mich über ein Scheibchen Wurst, dass mir Fleischi äh Fischi überreicht. Ich blicke nach oben gen Himmel. Mir gefällt was ich sehe. Hauptsächlich sehe ich den Himmel und dann stehen da natürlich die Bäume, die den Blick auf den Himmel nicht gerade einfacher machen. Die Bäume mit ihren Ästen und Zweigen und Blättern haben meine Aufmerksamkeit auf sich gezogen. Hier fällt mir nun auf, dass tatsächlich jedes Stück Himmel von Ästen bedeckt ist und dass sich die Bäume im Wald diese Stücke Himmel eigentlich recht gut aufgeteilt haben. Jeder Baum erhält angemessen viel Platz für Wurzeln und Äste, fast schon, als hätten sich die Bäume untereinander abgesprochen. Die Bäume respektieren, dass andere Bäume in ihrer nächsten Umgebung auch ihren Freiraum brauchen, um sich zu entwickeln, um zu wachsen.

11. Mai 2014-147Was für ein Rolle das ganze Laub, also die toten Blätter, auf dem Waldboden dabei spielt, bleibt mir zunächst in einer anderen Fantasie auch nicht ganz unklar. Mit Sicherheit sind das die gefallenen Opfer der heftigen Kriege zwischen der einzelnen Ästen und Blättern ganz da oben an den Bäumen, die im Wind wilde Gefechte führen. Aber das ist was anderes, hauptsächlich finde ich also, dass Bäume sozial sind. Ich erzähle das meinen Mitrovern. Sie sind hörbar beeindruckt von meinem Gedanken. „Ohhhh!“ „Aaaaaah!“ „Uuuuuuh!“ (Ja, das letzte ist Nico) sind die Laute, die die Höhle hinter uns erzittern lassen. Es hat sich ein Gedanke in all ihren Köpfen eingebrannt und der Schall dieser These wird wohl auf ewig durch die Hallen der Höhle hallen.

11. Mai 2014-117Dass die Bäume sich so sozial verhalten ist kein Wunder, oder? Naja, im Grunde hat sich die Natur ja alles von uns Pfadfindern abgeschaut, wie sollte es auch anders sein? Schließlich verbringt die Natur die meiste Zeit mit den Pfadfindern. Oder war es anders herum? Ich blicke nicht mehr durch, dass wird mir alles zu kompliziert. Wer hat sich das mit der sozialen Interaktion, mit dem Leben in einer Gesellschaft und für eine Gemeinschaft jetzt bei wem abgeschaut? Eigentlich unwichtig, am Ende geht jeder doch seinen eigenen Weg und wir lernen aus unseren positiven wie negativen Erfahrungen. Weil wir uns aber stets austauschen und uns andere als Vorbild nehmen und versuchen uns anzupassen, lernen wir untereinander aus unseren eigenen Taten und den Taten anderer.

Zum Glück machen wir uns aber selten Gedanken darüber, warum wir gut miteinander kommunizieren können, es funktioniert einfach gut. Wenn ein neuer in die Gruppe kommt sind wir aufgeschlossen und immer frohen Mutes. Unterschiede bestehen, der eine tut sich leichter, der andere etwas schwerer. Aber ganz genau wie die Bäume geben wir jedem seinen Freiraum und wir finden es großartig, dass jeder anders und einzigartig ist. Wie langweilig wäre bitte ein Wald, der nur aus Birken besteht, die alle gleich groß gewachsen sind und alle im gleichen Abstand zueinander stehen? Wir hätten uns tatsächlich auch etwas schwer getan, passende Bäume für unsere coole Seilrutsche mitten im Wald zu finden. Das war eine beispielhafte Zusammenarbeit zwischen Pfadfindern und Bäumen, denn die Seilrusche war super.

Leserbrief von Regina

Ich weiß, dass mich niemand nach meiner Meinung gefragt hat, aber ich mache es trotzdem, weil nunmal Demokratie so funktioniert. Lieber Muuusch, als du die Behauptung im Wald, Bäume seien sozial, von dir gegeben hast, habe ich dir widersprochen. Ich tue es nocheinmal, diesmal schriftlich. Wenn ich ehrlich bin, gefällt mir deine These auch besser, sie ist versöhnlicher und hoffnungsvoller. Ich ziehe meinen Hut, dafür dass du immer das Gute siehst. Aber das hier ist glaube ich, die realistischere wenn auch schrecklichere Behauptung. Der Wald ist eines der Deutlichsten der Bildnisse des Kapitalismus. Oben die erhabenen und unantastbaren Oligarchen, zu vergleichen mit den großen Bäumen, suhlen sich im Ansehen der Menschen und in der Sonne des Lebens.

10. Mai 2014-145Unten: verachtet und als störend empfunden, das Prekariat, der Bodensatz der Gesellschaft, die stacheligen Brombeeren und Farne die uns den Weg versperren. Viel zu einfach ist die Aufteilung des Lebensraumes im Wald: der Stärkere gewinnt! Knapp zwei Prozent der Weltbevölkerung besitzen die Hälfte des Geldes dieser Welt. Ich habe die Pflanzen im Wald pro Quadratmeter nicht gezählt, aber ich weiß dass dort maximal einer dieser Bäume steht und die gesamten Sonnenstrahlen abfängt. Können wir das auf unsere Wirtschaft beziehen? Fangen diese zwei Prozent den Sonnenschein des Lebens für den Rest der Bevölkerung ab? Eine weitere Parallele zeigt sich in der Kluft zwischen Arm und Reich. Der Abstand der grünen Kronen der Nadelbäume und bewachsenem Boden wird konstant größer zu der Höhe der Bäume. Ich könnte noch ewig so weiter machen und Vergleiche ziehen. Aber der wesentliche und interessante Kern dieses Vergleichs ist doch: Was bleibt übrig wenn die Bäume fallen? Alles stirbt, Farne wachsen nur im Schatten. Eine Wiese würde entstehen mit Blumen und Gräsern, nach einiger Zeit jedoch würde der Kreislauf von Neuem beginnen. Der Wald ist grausam und doch wunderschön, wie das Leben.